Stuttgart: Gemeinsam gegen Einsamkeit – und was andere Städte daraus lernen können

58.000 Menschen in Stuttgart fühlen sich einsam: das ist mehr als jeder Zehnte. Und doch sehen wir sie nicht. Einsamkeit ist unsichtbar, aber sie wirkt und zwar tief hinein in unsere Gesellschaft.

Die Stadt Stuttgart hat das erkannt. Mit der Kampagne „GemEINSAMkeiten“ und einer umfassenden Strategie gegen Einsamkeit nimmt sie eine bundesweite Vorreiterrolle ein. Als Experte für Einsamkeitslösungen möchte ich erklären, warum dieser Schritt so wichtig ist und was andere Kommunen davon lernen können.

Einsamkeit ist kein individuelles Scheitern, sondern eine gesellschaftliche Herausforderung

Corona hat wie ein Brennglas gewirkt: Plötzlich wurde klar, wie fragil unsere sozialen Strukturen sind. Für viele war es das erste Mal, dass sie Einsamkeit bewusst erlebt haben. Für andere – darunter Alleinlebende, Menschen mit Migrationshintergrund oder in prekären Lebenssituationen – war es eine Verstärkung eines schon lange bestehenden Zustands.

Die Einsamkeitsstrategie der Stadt Stuttgart basiert auf einer wichtigen Erkenntnis:

Einsamkeit ist kein Randthema. Sie betrifft alle Altersgruppen, alle Stadtteile, alle Milieus.

Was Stuttgart richtig macht

Die Stadt hat 2021 das Thema Einsamkeit mit einer eigenen strategischen Abteilung sozialpolitisch verankert. Mittlerweile sind gibt es über 420 Partnerschaften, die beteiligt sind: von Beratungsstellen über Sportvereine bis hin zu Café-Treffs.

Besonders klug ist der Fokus auf:

  • niedrigschwellige Begegnungsorte wie Bänke, Stadtteilzentren oder Parks
  • gezielte Öffentlichkeitsarbeit, die enttabuisiert statt stigmatisiert
  • datenbasierte Arbeit, um Entwicklungen langfristig zu beobachten (z. B. Stuttgart-Umfrage alle zwei Jahre)

Das zeigt: Einsamkeit ist nicht mit einem Flyer und einer Telefonhotline gelöst. Es braucht ein Ökosystem, dass analog, lokal und verlässlich ist

Aber: Wer erreicht die, die sich nicht angesprochen fühlen?

Trotz der Stärke dieser Strategie gibt es einen neuralgischen Punkt: Wie erreichen wir jüngere Generationen, vor allem zwischen 18 und 30 Jahren?

Laut dem Einsamkeitsbarometer der Bundesregierung bleibt in dieser Altersgruppe das Einsamkeitslevel auch nach Corona erhöht. Gleichzeitig sinkt das Vertrauen in Institutionen und demokratische Prozesse.

Diese Entwicklung ist nicht nur für die individuelle Gesundheit gefährlich, sondern auch für unser gesellschaftliches Miteinander.

Was wir zusätzlich brauchen: eine neue Alltagskultur der Verbundenheit

Als jemand, der sich intensiv mit Einsamkeit beschäftigt, sehe ich täglich, wo bestehende Angebote scheitern:

  • Sie werden mit dem Wort „Einsamkeit“ direkt angesprochen
  • Sie erreichen nicht die informellen Lebensrealitäten von Gen Z & Y
  • Sie sind oft nicht sichtbar für Zugezogene oder Berufstätige
  • Sie setzen auf Teilhabe, ohne echte Zugehörigkeit zu ermöglichen

Was wir brauchen, sind neue Ansätze:

  • IRL-Communities, die durch gemeinsame Interessen zusammenfinden
  • Dritte Orte mit emotionalem Andockpunkt, nicht nur Sitzgelegenheiten
  • Peer-basierte Formate, bei denen man sich auf Augenhöhe begegnet
  • Hybride Lösungen als Türöffner, nicht als Endlösung

Was du selbst tun kannst

  1. Achte auf dein soziales Wohlbefinden: Fühlst du dich verbunden, gesehen, gebraucht?
  2. Sprich Menschen an, auch wenn es Überwindung kostet. Vielleicht braucht deine Nachbarin genau jetzt jemanden.
  3. Nutze lokale Angebote, nicht erst wenn du dich einsam fühlst, sondern präventiv.
  4. Engagiere dich für andere, denn der Weg aus der Einsamkeit beginnt oft beim Geben.

Fazit: Einsamkeit bekämpfen heißt Gesellschaft gestalten

Stuttgart macht vor, wie Kommunen Verantwortung übernehmen können. Doch es braucht mehr: Menschen, die neue Räume schaffen und andererseits dafür schlicht die Fähigkeiten haben. Gemeinschaft nicht nur als Konzept denken, sondern als gelebte Realität im Alltag.

Einsamkeit ist kein individuelles Problem, sondern ein kollektives Signal.

Es sagt uns: Unsere Verbindungen sind brüchig. Lasst uns neue knüpfen. Gemeinsam.